Allein in der BRD wurden bis 1969 rund 50.000 Männer nach Paragraf 175 Strafgesetzbuch (StGB), der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, verurteilt. Lesbische Mütter waren zudem bis mindestens in die 1980er Jahre mit Entzug des Sorgerechts durch bundesdeutsche Gerichte bedroht. Auch für Bisexuelle, trans*- und intergeschlechtliche Menschen bedeutete das Bekanntwerden ihrer Identität die ständige Gefahr des Verlustes familiärer und sozialer Kontakte oder des Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes. Prägende Erlebnisse dieser Art, früh erworbene Selbstzweifel, und damit verbundene Gefühle wie Scham, Angst, Ohnmacht oder Wut können folglich in einer Demenz wieder hervortreten und Einrichtungen der Altenhilfe müssen darauf vorbereitet sein.
Je nach Forschungsansatz identifizieren sich fünf bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung als LSBTIQ*. Demnach leben beispielsweise in vermutlich jedem Pflegeheim auch queere Senior*innen, von denen sich aber viele immer noch zurückziehen oder verstecken, aus Angst vor erneuter Zurückweisung. Daher sollten Einrichtungen der Altenhilfe zunächst eine Willkommenskultur für queere Senior*innen schaffen, damit Ängste und Bedenken in einer ungewohnten Situation nicht noch zusätzlich verstärkt werden. Eine der zentralen Maßnahmen ist dabei die Sensibilisierung von Mitarbeitenden für die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Lebensweisen und Identitäten und den damit verbundenen sozialen und historischen Hintergründen.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat hierfür ein Praxishandbuch mit Fortbildungsangebot für alle Einrichtungsformen der Altenhilfe entwickelt. Die Schwulenberatung Berlin bietet ein bundesweit verfügbares Qualifizierungsprogramm für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, sowie für Tagespflege, Hospize und Krankenhäuser an, die eine Willkommenskultur umsetzen.
Praxishandbuch zur Öffnung der Altenhilfe-Einrichtungen für LSBTIQ*
Das im Januar 2021 veröffentlichte „Praxishandbuch zur Öffnung der Altenhilfe-Einrichtungen für LSBTIQ*“ bietet erstmals eine umfangreiche Materialiensammlung zum Thema LSBTIQ* und Pflege. Neben einem Leitfaden mit konkreten Öffnungsmaßnahmen für die Zielgruppe LSBTIQ* enthält es insgesamt 13 eigenständige Module zur Fortbildung von Mitarbeitenden der Altenhilfe. Eines dieser Module widmet sich explizit dem Thema Demenz und LSBTIQ und vermittelt unter anderem Kenntnisse über den Zusammenhang einer LSBTIQ*-Biografie und den möglichen Erscheinungsformen in einer Demenz.
Das Praxishandbuch entstand im Rahmen des Modellprojekts „Queer im Alter – Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen der AWO für die Zielgruppe LSBTIQ*“. Das Projekt wurde im Zeitraum von Januar 2019 bis Februar 2021 vom Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. koordiniert und gemeinsam mit sechs Modellstandorten der AWO umgesetzt – gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Informationen zum kostenlosen Download und zur Bestellung der gedruckten Ausgabe finden Sie hier.
Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt® der Schwulenberatung Berlin
Gefördert vom Verband der Privaten Krankenkassen in Kooperation mit der Deutschen Aidsstiftung ist das Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt® ein Qualifizierungsprogramm zur diversitätssensiblen Gesundheitsförderung. Pflegeeinrichtungen, Hospize und Krankenhäuser erhalten die Auszeichnung, wenn sie in struktureller, organisationspolitischer und personeller Hinsicht Voraussetzungen schaffen, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten zu inkludieren. Sie erhalten diese Auszeichnung, wenn sie sich nachweislich bemühen die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ihrer Bewohner-, Klient- und Mitarbeiter*innen als wesentlichen Aspekt ihrer Persönlichkeit zu berücksichtigen – in der Pflege wie im alltäglichen Leben. Im Rahmen des Qualifizierungsprogramms werden interessierte Einrichtungen im Öffnungsprozess zu einer diversitätssensiblen Pflege und Versorgung begleitet, kostenlos beraten und zertifiziert. Der sogenannte Diversity Check dient dabei als Analyseinstrument. Einrichtungen können online herausfinden, inwieweit sie LSBTI*-sensible Pflege umsetzen und erhalten gleichzeitig praktische Anregungen, wie sie sich diversitätssensibel weiterentwickeln können.
Nähere Informationen erhalten sie hier sowie im Praxis-Leitfaden Weil ich so bin, wie ich bin. Vielfalt in der Pflege.